In einem offenen Brief an die Bayerische Staatsregierung fordern die bayerischen Kampfsportverbände Öffnungsperspektiven für Kontaktsportarten. Bislang gibt es für Kampfsportler auch unter gelockerten Corona-Maßnahmen keine Möglichkeiten für die Wiederaufnahme des Sportbetriebs – mit katastrophalen Auswirkungen für die Vereine und ihre Nachwuchsarbeit. Hier der offene Brief im Wortlaut:
KEINE PERSPEKTIVE FÜR DEN KAMPFSPORT!
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Dr. Söder,
sehr geehrter Herr Staatsminister Herrmann,
sehr geehrter Herr Staatsminister Holetschek,
in mehr als 1900 bayerischen Vereinen wird Kampfsport betrieben. Der Sport wird dort maßgeblich von acht bayerischen Sportfachverbänden, die sowohl Mitglied im DOSB, als auch bei TSB und beim BLSV sind, organisiert.
Die Kampfsportfachverbände nehmen dabei neben den sportlichen und sozialen Funktionen weitere wichtige gesellschaftliche Aufgaben wahr. Wir vermitteln gesellschaftliche Grundwerte. Wir tolerieren keinerlei Formen von Gewalt und bekennen uns vorbehaltlos und uneingeschränkt zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. In unseren vielfältigen Sportarten können wir zahlreiche positive Beispiele für gelungene Integration von Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen ebenso wie im Bereich der Inklusion vorweisen. Die Wettkampferfolge unserer olympischen, paralympischen und nichtolympischen Athletinnen und Athleten haben in der Vergangenheit wesentlich zum Reputationsgewinn des Sports im Freistaat Bayern beigetragen. Menschen, die Kampfsport in unseren Verbänden und Vereinen erlernen und betreiben, stehen für Disziplin, gegenseitigen Respekt und Achtsamkeit.
Bereits im zurückliegenden Jahr haben unsere Kampfsportvereine bewiesen, dass sie die, auf Grundlage der DOSB-Leitplanken und der BayIfSMV entwickelten und sukzessive fortgeschriebenen, Schutzkonzepte der Sportfachverbände und Spitzenverbände erfolgreich und verantwortungsvoll umzusetzen vermögen. In keinem der unseren Verbänden angeschlossenen Vereine ist während der gesamten Zeit der Öffnungen von Sommer bis Herbst letzten Jahres auch nur ein einziger Infektionsfall bekannt geworden, der sich ursächlich auf das Kampfsporttraining hätte zurückführen lassen. Es war während dieser Zeit auch nicht so, dass alle im Rahmen der Öffnung möglichen Spielräume im Sportbetrieb von unseren Kampfsportvereinen stets voll ausgereizt worden sind. Vielmehr wurden sie verantwortungsvoll dosiert angewandt, indem oftmals im Training der Kontakt nur in festen Trainingspaaren oder Kleingruppen erfolgt ist und auch dann noch beibehalten wurde, als schon Training in größeren Gruppen erlaubt war. Testungsvorgaben vor dem Training wurden uneingeschränkt eingehalten und kontrolliert. Trainingsinhalte wurden stets den örtlichen Gegebenheiten und Vorgaben angepasst, Phasen intensiveren Körperkontakts auf ein Minimum reduziert und sogar durch angepasste Trainingskleidung vermieden. Die Gesundheit unserer Sportlerinnen und Sportler ist für uns und unsere ehrenamtlichen Trainerinnen und Trainer das höchste Gut, das es in diesen Zeiten besonders zu schützen gilt.
Um aber in der Ausübung unserer Sportarten neben dem Infektionsschutz auch einen vernünftigen Trainingsstand zur Verletzungsprophylaxe, in der technischen Ausbildung und in der Nachwuchsarbeit sicherstellen zu können, kann der Trainingsbetrieb Indoor nicht ersetzt werden. Leider bieten die aktuell geltenden Verordnungen zu Kontaktsport im Innenbereich für uns keine Perspektive.
Selbst bei einer Inzidenz von 0 ist nicht gewährleistet, dass Kontaktsport im Innenbereich stattfinden kann. Bei Inzidenzen unter 50 sind unsere Sportlerinnen und Sportler auf unsichere Einzelfallentscheidungen angewiesen, die von den zuständigen Kreisverwaltungsbehörden/kreisfreien Städten aktiv beim Gesundheitsministerium beantragt werden müssen. Ein Anspruch auf Kontaktsport im Innenbereich von Sport- und Turnhallen besteht mit der aktuellen Regelung nicht.
Die Situation ist für uns und unsere Vereine nicht mehr länger hinnehmbar. Denn als Konsequenz daraus ergibt sich für unsere Sportarten ein drastischer Mitgliederschwund. Langjährige Mitglieder, die uns während des letzten Jahres noch die Treue gehalten haben, reichen nun angesichts dieser andauernden Perspektivlosigkeit ihre Kündigung ein. Anfragen zum Wiedereinstieg in den Sportbetrieb können Vereine und auch die Sportfachverbände nicht beantworten, da keine Perspektive und keine Vorgaben dazu existieren. Was bleibt ist die ständige, zermürbende Ungewissheit, die ehrenamtliche Funktionäre und Trainer frustriert und leider oftmals in Resignation endet. Nicht wenige Vereine mussten ihre Kampfsportabteilungen bereits ganz aufgeben. Andere stehen kurz davor, diesen Schritt zu gehen.
Sportler, die uns noch die Treue halten, müssen zusehen wie in anderen Sportarten insgesamt und selbst im Kampfsport in anderen Landesverbänden bereits Kontaktsport betrieben wird.
Erschwert wird die Situation zusätzlich durch die seit Beginn der Pandemie stark eingeschränkte Verfügbarkeit von kommunalen Sportstätten für den Vereinssport, da Sporthallen seither oftmals anderweitig genutzt oder schlicht nicht geöffnet werden. Abseits unserer Vereine gibt es zahlreiche kommerzielle Kampfsportschulen. Im Gegensatz den meisten Vereinen verfügen diese Schulen über eigene Räumlichkeiten und sind damit unabhängig von kommunalen Sportstätten. Kommerzielle Kampfsportschulen gehören keiner der o.g. Sportorganisationen an, sind damit auch nicht unseren gemeinsamen Wertekonzepten verpflichtet. Im Falle einer Wiederzulassung des Kontaktsports im Innenbereich bei andauernder Schließung der kommunalen Sportstätten wandern weitere Kampfsportlerinnen und –sportler in diese kommerziellen Schulen ab und gehen den Sportfachverbänden und deren Vereinen dauerhaft verloren.
Für uns Kampfsportverbände stellt sich die Frage, wann gibt es endlich eine stabile Perspektive für unsere bayerischen Vereine? Es kann doch nicht im Sinne des Freistaats und ebenso wenig im Sinne seiner Landkreise, Städte und Gemeinden sein, dass die gemeinwohlorientierte Sportvereinskultur, die zum immateriellen Kulturerbe der UNESCO zählt, in Bayern zunehmend verarmt.
Angesichts sinkender Infektionszahlen könnte ein erster Schritt die sofortige Freigabe des Kontaktsports im Innenbereich für fest zugeordnete Trainingspartner bzw. kleinerer Trainingsgruppen sein. Sollte eine Testpflicht für Nichtgeimpfte innerhalb bestimmter Inzidenzwerte noch als unerlässlich angesehen werden, sollten die auf beruflicher und schulischer Ebene vorgenommenen Schnelltests anerkannt werden. Die gleichzeitige Freigabe von Hallen für den Vereinssport muss dabei vorangetrieben werden.
Handeln Sie jetzt und zeigen Sie endlich auch Perspektiven für unsere rund 150.000 Kampfsportlerinnen und Kampfsportler auf! Denn diese haben Sie bisher vergessen. Gerne sind wir bereit, uns aktiv in die Erarbeitung vernünftiger und praktikabler Konzepte für die Wiederaufnahme des Kontaktsports im Innenbereich einzubringen.
Mit sportlichen Grüßen
Dr. Alfons Hölzl
1. Vorsitzender TEAM Sport-Bayern
Eva Straub
Präsidentin Ju-Jutsu Verband Bayern
Gerd Kohlhofer
Präsident Bayerische Taekwondo Union
Rudi Brunnbauer
Präsident Bayerische Amateur-Kickbox Union
Wolfgang Weigert
Präsident Bayerischer Karate Bun
Raphael Boezio
Präsident Bayerischer-Judo-Verband
Manfred Werner
Präsident Bayerischer Ringer-Verband
Hier das Dokument als PDF dazu:
Offener Brief Kampfsportverbände