Wir leben gerade in sehr bewegten Zeiten. Was bedeuten diese als Herausforderung für den Sport? Gedanken und Impulse von Dr. Alfons Hölzl, 1. Vorsitzender TEAM Sport-Bayern e.V.
Herr Dr. Hölzl, COVID-19 ist nicht vorbei, aber die größten Gefahren scheinen nach fast drei Jahren gebannt oder zumindest beherrschbar zu sein. Welche Spuren hat in Bayern die Pandemie im Sport hinterlassen?
Dr. Alfons Hölzl: Dass der Sport wieder ohne Einschränkungen in seinen Regelbetrieb zurückgefunden hat, ist eine große Erleichterung. Denn die Spuren der Pandemie sind erheblich. Ein riesiges Problem ist dabei der Verlust an ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Bereich der Vereins- und Verbandsorganisation. Besonders schwer wiegt dabei der Ausstieg von sehr vielen ehrenamtlichen Trainerinnen und Trainern. Um diese Basis des Sports wiederherzustellen, sind große Anstrengungen erforderlich. Das geht, wenn überhaupt, auf jeden Fall nicht von heute auf morgen.
Was bedeutet dies für das Selbstverständnis des Sports?
Die Pandemie ist ganz deutlich mit einem Vertrauensverlust einhergegangen. Der Sport hat erfahren müssen, dass er über längere Zeit kein Gehör fand und seine existenziellen Interessen in den Corona-Maßnahmen nicht widergespiegelt waren. Dabei hat es seitens der Sportfachverbände und TEAM Sport-Bayern eine hohe Bereitschaft gegeben, hier Aspekte der Sportpraxis in die Diskussion einzubringen. Positiv ist, dass in vielen Sportarten – nicht in allen – mittlerweile wieder Mitglieder für den Vereinssport zurückgewonnen werden konnten. Das zeigt, wie attraktiv das Angebot ist.
Mit dem Angriffskrieg auf die Ukraine ist seit Februar ein neues existenzielles Thema ganz oben auf die Agenda von Wirtschaft und Gesellschaft gerückt: die galoppierenden Kosten für Energie. Was bedeuten diese für den Sport?
Die explodierenden Energiepreise, die Inflation sowie Kostensteigerungen in nahezu allen Lebensbereichen setzen dem organisierten Freizeit- und Breitensport sowie dem Nachwuchsleistungssport schwer zu. Sportverbände und ihre Vereine sind wegen der extrem gestiegenen Betriebskosten bei Immobilien, wie Turn- und Sporthallen, bei Sportanlagen mit Flutlicht oder bei ihren Vereinsheimen, massiv unter Druck und möglicherweise in Teilen schon überfordert.
Wie beurteilen Sie da die Maßnahmen von Bund und Bayerischer Staatsregierung zur Deckelung der Energiekosten?
Dass der Bund beschlossen hat, die Gaspreisbremse auch für Vereine gelten zu lassen, ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Zudem sind im Freistaat die Einbeziehung des Sports in den Härtefall-Fonds und die vorgezogene Verdopplung der Vereinspauschale eine große Hilfe. Doch das allein wird nicht ausreichen. Es müssen darüber hinaus jetzt auch strukturelle Themen verstärkt in den Blick genommen und entsprechende Lösungen gefunden werden.
Könnten hier nicht über Beitragserhöhungen die Lasten verteilt werden?
Eine Erhöhung von Mitgliedsbeiträgen könnte dabei ein Mittel sein, dies abzufedern, birgt aber die Gefahr von Mitgliederverlusten, insbesondere bei den sozial schwachen Teilen der Bevölkerung. Gerade die neuen Sportförderrichtlinien fordern aber eine flächendeckende und kostengünstige Möglichkeit zur Teilhabe am Sportbetrieb für alle Teile der Gesellschaft. Hier müssen gemeinsam mit der Politik und den Verantwortlichen in den Sportfachverbänden und Vereinen besondere Anstrengungen unternommen werden. Wir brauchen einen Konsens über die zukünftige Aufgabenverteilung und Finanzierung.
In welchen Bereichen müssen besondere Anstrengungen unternommen werden?
Zum einen müssen aus sportlichen wie auch wirtschaftlichen und gesamtgesellschaftlichen Gründen eine Schließung von Sportstätten und die Einstellung des Sportbetriebs unbedingt vermieden werden. Der mögliche Verlust von funktionsfähiger Infrastruktur sowie von Verbands- bzw. Vereinsstrukturen kann den Sport in Bayern auf Jahre zurückwerfen und bestehende gewachsenen Strukturen zerschlagen. Zum anderen ist der aktuell beschrittenen Weg zur Stärkung des Sportbetriebs konsequent weiterzuführen, um die entsprechend notwendigen Angebote der Sportfachverbände und Vereine auszubauen und verstetigen zu können.
Was meinen Sie damit genau?
Die Sportinfrastruktur in Bayern ist in vielen Bereichen in die Jahre gekommen. Hier hat sich ein großer Sanierungsstau rund um Sportstätten und Vereinsgebäude gebildet. Angesichts der voraussichtlich auch langfristig stark erhöhten Betriebskosten werden die Vereine die notwendigen Modernisierungen im baulichen und energetischen Bereich nicht im Alleingang stemmen können. Darüber hinaus muss auch im Bereich der Ausbildung von Trainern und Übungsleitern als eine der wichtigsten Aufgaben ein besonderes Signal gesetzt werden. Die Bereitstellung von hoch qualifiziertem Personal für den breitensportlichen Sportbetrieb, aber auch für den Nachwuchsleistungssport muss gestärkt und abgesichert werden. Es geht dabei um zielgenaue und nachhaltige Konzepte, die den Sport fit machen für die anstehenden Herausforderungen der Zukunft.
Welche Rolle spielt dabei die staatliche Förderung?
Für eine erfolgreiche Weiterentwicklung des organisierten Sports in Bayern brauchen wir zwei erfolgreiche Standbeine. Den Breitensport und den Nachwuchsleistungssport – beide gehören zusammen und sind voneinander abhängig. Für den Bereich des Nachwuchsleistungssports sind wir auf einem guten Weg, den es konsequent fortzusetzen gilt. Der Breitensport dagegen bedarf zukünftig einer stärken Unterstützung durch den Freistaat, wenn die in den neuen Richtlinien gestellten Aufgaben nachhaltig umgesetzt werden sollen.
Inwiefern?
Für das bayerische Leistungssportsystem und eine bestmöglichen Unterstützung bayerischer Toptalente ist ein verstetigter und an den Bedarfen der Sportfachverbände orientierter Mittelaufwuchs im Nachwuchsleistungssport von entscheidender Bedeutung. Den mit der bayerischen Politik vereinbarten Mittelaufwuchs auf Grundlage des Nachwuchsleistungssportkonzeptes gilt es fortzuschreiben. Neben der Höhe der bereitgestellten Fördermittel spielt dabei die Planbarkeit, insbesondere im Bereich der Personalgestellung (Trainerinnen und Trainer), eine wichtige Rolle. Nachwuchsleistungssport bedeutet in hohem Maße eine kontinuierliche Arbeit mit Athletinnen und Athleten. Für eine erfolgreiche Positionierung im internationalen Spitzensport ist deswegen eine mehrjährige, an den olympischen Zyklen angelehnte Mittelzusage des Freistaats Bayern essenziell. Zudem müssen die Qualität und der Zustand der leistungssportlichen Infrastruktur wieder mehr in den Fokus genommen werden.
Was hat der Zustand der Sportinfrastruktur mit der mittel- und langfristigen Absicherung der nationalen und internationalen Wettbewerbsfähigkeit bayerischer Athletinnen und Athleten zu tun?
Spitzenleistungen auf internationaler Bühne und erst recht Medaillen fallen nicht vom Himmel. Neben der qualifizierten Trainerinnen und Trainern ist die Sportinfrastruktur der entscheidende Hebel für jeglichen sportlichen Erfolg. Wenn wir dafür heute nicht die Voraussetzungen schaffen, werden wir morgen auch nicht wettbewerbsfähig sein können. Versäumnisse bei der Instandhaltung und dem Ausbau der Infrastruktur haben – gerade auch mit Blick auf den Nachwuchsleistungssport – definitiv Langzeitwirkung.
Wie steht es um die staatliche Förderung im Breiten- und Gesundheitssport?
Leider stagniert die Förderung des Sportbetriebs im Breiten- und Gesundheitssport der Sportfachverbände seit vielen Jahren. Wegen der aktuell hohen Inflation drohen wir hier an Umsetzungskraft zu verlieren. Ein flächendeckender und für jedermann nutzbarer, weil kostengünstiger breitensportlicher Sportbetrieb ist eine gesellschaftlich bedeutende und große Aufgabe. Die bayerischen Sportfachverbände können diese nur mit Unterstützung des Freistaats Bayern nachhaltig bewältigen und zielgenau angehen. Hier ist ein Mittelaufwuchs dringend geboten.
Wie beurteilen Sie den Sanierungsbedarf der Sportinfrastruktur mit Blick auf den Kinder- und Jugendsport wie auch den Senioren‑, Reha- und Behindertensport?
Bewegungsräume schaffen erst die Möglichkeit des Sporttreibens für jede Lebensphase. Neben der freien Natur sind deswegen Sportanlagen für den Vereins- und Verbandssport dringend erforderlich. Das Gleiche gilt für den öffentlichen Raum, also etwa in Parks zum Bolzen, für urbane Räume mit neuen Sportarten wie beispielsweise Parkour oder für frei zugängliche Fitnessangebote. Wir müssen neben dem Spitzensport auch verstärkt niederschwellige Angebote für den Freizeit‑, Gesundheits- und Seniorensport ermöglichen. Das ist von großer gesamtgesellschaftlicher Bedeutung. Sport trägt schließlich nicht nur zu einer positiven Leistungsorientierung, sondern dabei auch maßgeblich zu Integration und Inklusion sowie zur Stärkung der Zivilgesellschaft und zur Gesundheitsvorsorge bei. Hier geht also um eine Investition in die Zukunft, die sich auszahlt.
Wie kann und will sich TEAM Sport-Bayern in einen möglichen Reformprozess einbringen?
Wir verstehen uns als hochqualifizierter Partner und Berater der Politik. Es geht TSB um nachhaltige Entwicklung sowie fach- und sachgerechte Investitionen in die Sportinfrastruktur. Dazu können wir sportartenübergreifend die Erfahrungen der Sportfachverbände in den Prozess einbringen – aus der Praxis für die Praxis. Ich bin überzeugt davon, dass der organisierte Sport zukunftsfähiger, nachhaltiger und resilienter aus der Krise herausgehen kann. Es gilt, Chancen zu nutzen. Ich bin mir sicher: Mit Weitblick und Sachverstand kann das konstruktive Miteinander von Sport, Politik und der Zivilgesellschaft eine große gestalterische Kraft entfalten. Es ist jetzt Zeit zum Handeln.