Barista: Hatespeech, Fake-News, Cybermobbing: Ist der Werteverfall im Zeitalter von Digitalisierung und Social Media noch zu stoppen und was heißt das für euch im Sport?
Doris Klingseisen: „Die heutige Jugend ist von Grund auf verdorben, sie ist böse, gottlos und faul. Sie wird niemals so sein wie die Jugend vorher, und es wird ihr niemals gelingen, unsere Werte zu erhalten.“ Das kommt einem bekannt vor, oder? Der vernichtende Befund stammt aber nicht von einem Stammtisch-Grantler um die Ecke, sondern steht auf einer über 3.000 Jahre alten babylonischen Tontafel. Die Einschätzung, dass es mit den Werten bergab geht, ist also etwa so alt wie die Menschheit. Wenn aber nichts so beständig ist wie der Wandel, heißt das eben auch, dass wir uns auch mit Werten, die uns wirklich wichtig sind, immer wieder auseinandersetzen und uns für sie stark machen müssen.
Barista: Das klingt sehr abstrakt. Was heißt das konkret in der Sporthalle oder auf dem Sportplatz?
Doris Klingseisen: Ich komme aus dem Ju-Jutsu, einer von den Samurai abstammenden, jahrhundertealten Kampfkunst der Selbstverteidigung. Neben sportlicher Leistung und der Vermittlung von Techniken stehen hier Werte wie Respekt, Achtsamkeit und Selbstdisziplin ganz hoch im Kurs. Und das hat ganz praktische Bedeutung. Noch vor der ersten Stunde, ehe du überhaupt die Matte betrittst oder mit dem Training anfängst, gibt es wichtige Regeln zu beachten. Dazu gehört beispielsweise Sauberkeit des Körpers, an Händen und Füßen wie auch bei der Kleidung. Oder auch geschnittene Fingernägel. Das alles sind Punkte, die für ein angenehmes, vor allem aber achtsames respektvolles, sprich wertschätzendes Training mit dem/der Trainingspartner*in stehen, egal welcher Graduierung, egal welcher Leistungsstand, Nationalität, Alter oder Geschlecht. Darum geht es bei gelebten Werten.
Barista: Und wie kriegt man das im Verein oder Verband umgesetzt?
Doris Klingseisen: Ich habe dazu mit meinem Kollegen Thomas Neu im Rahmen der Demokratietrainer*innen-Ausbildung ein Workshop-Format als eine Art „Gebrauchsanweisung“ für wertegeleitete Verbands- und Jugendarbeit im Ju-Jutsu-Verband Bayern entwickelt. Im Mittelpunkt steht dabei, grundlegende Werte und deren Bedeutung für den Sport konkret zu benennen. Viel zu selten hat man im Alltag die Möglichkeit oder die Aufgabe, sich mit seinen eigenen Werten und Wertigkeiten zu beschäftigen. Da kann, ja muss der Sport mit gutem Beispiel vorangehen. Das ist ein Gewinn für alle.
>HIER< geht’s zum ausführlichen Bricht des Praxisprojekts von Doris Klingseisen