Kurz vor Beginn der Olympischen Spiele von Tokio schlagen Top-Sportler wegen des Nachwuchsleistungssport-Notstands in Bayern Alarm. In Bezug auf das Schulsystem für Leistungssportler zählt der Freistaat national wie international zu den Schlusslichtern. „Bundeskaderathleten aus dem Bundesstützpunkt in Oberhaching besuchen den größten Standort des Deutschen Tennis-Bundes, das Privatgymnasium Schwetzingen / Mannheim. Allerdings ist dieser Weg mit großem Zeitaufwand durch lange Fahrtwege verbunden. Es wäre dringend erforderlich, entsprechende Schullösungen auch in Bayern anzubieten“, fordert Wimbledonsieger Boris Becker.
Auch der ehemalige Biathlon-Bundestrainer und ‑Olympiasieger Fritz Fischer sieht dringenden Handlungsbedarf: „Andere Länder, auch in Mitteleuropa, haben längst Lösungen für die Beschulung von jugendlichen Spitzenathleten, die ihnen die Entwicklung der sportlichen Leistung parallel zur Schule ermöglicht. Da haben wir in Bayern im nationalen und internationalen Vergleich noch Nachholbedarf.“
Im Rahmen einer Pressekonferenz von TEAM Sport-Bayern in der TennisBase Oberhaching wies Alfons Hölzl, 1. Vorsitzender des TSB, darauf hin, dass im Verhältnis zur Bevölkerungszahl Bayern mit der zweitschlechtesten Abdeckung mit Eliteschulen des Sommersports (EdSo) nach Niedersachsen aufwartet. In den beiden bayerischen EdSo für den Sommersport in München und Nürnberg werden aktuell etwa 350 Talente beschult. Dabei sind nur 16 von 33 olympischen Sportarten vertreten.
Wie wichtig die Verbindung von Schule und Leistungssport sind, zeigt das Beispiel des Wintersports. Bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang waren an allen (!) deutschen Medaillen von bayerischen Sportlern Schüler aus Eliteschulen oder den Partnerschulen des Sports beteiligt. Das im Wintersport etablierte System der Partnerschulen des Sports sollte in Bayern demnach auch im Sommersport eingeführt werden.
„Der Freistaat muss im Verbund mit den Sportfachverbänden den bayerischen Talenten helfen, konkurrenzfähig zu werden und gleichzeitig zu hohe Drop-out-Quoten sowie die Abwanderung in andere Bundesländer verhindern“, fordert Alfons Hölzl, 1. Vorsitzender von TEAM Sport-Bayern.
In der Arbeitsgruppe Schule, Leistungssport, Duale Karriere hat TEAM Sport-Bayern umfassend die schulischen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen zur Förderung des Nachwuchsleistungssports in Bayern analysiert und Vorschläge für eine Verbesserung der Situation erarbeitet. „Wenn wir nicht weiter Talente verlieren wollen, brauchen wir in Bayern ein neues Schule-Leistungssport-Verbundsystem, das auf einer klaren Aufgabentrennung für die schulische bzw. leistungssportliche Ausbildung basiert“, fasst der für den Leistungssport zuständige TSB-Vorstand Armin Zimmermann die Forderungen der Arbeitsgruppe an die Politik zusammen.
Dazu gehöre der Zusammenschluss der drei weiterführenden Schularten in einem Verbundsystem von Partnerschulen mit entsprechenden Leistungssportklassen. Die leistungssportliche Ausbildung und Betreuung der Nachwuchsleistungssporttalente, insbesondere die Bereitstellung geeigneter Trainer und Sportstätten, müsse in diesem Verbund dem jeweiligen Sportfachverband obliegen.
„Meine sportlichen Erfolge wären für mich nicht möglich gewesen, wenn ich während meiner Schulzeit ein öffentliches Gymnasium besucht hätte“, sagt der mehrmalige Turn-Europameister und Olympia-Medaillengewinner Marcel Nguyen: „Das staatliche Schulsystem in Bayern ermöglicht einem Leistungssportler kaum, seine sportliche Leistung parallel zur Schule zu entwickeln. Bayern hinkt hier weit hinterher.”
Fotos: A. Fessler/BTV