Immer mehr und neue Regularien, eine überbordende Bürokratie und eine damit verbundene Rechtsunsicherheit machen vielen Betrieben, aber auch zunehmend auch Vereinen und Verbänden das Leben schwer. Besuch bei einem, der das ändern möchte: Walter Nussel, Beauftragter für Bürokratieabbau der Bayerischen Staatsregierung.
Eingerahmt und in großen Lettern erinnert im Büro von Walter Nussel im Bayerischen Finanzministerium ein Auszug aus der Verfassung des Freistaates Bayern, worum es hier vorrangig geht: „Art. 153: Die selbständigen Kleinbetriebe und Mittelstandsbetriebe in Landwirtschaft, Handwerk, Handel, Gewerbe und Industrie sind in der Gesetzgebung und Verwaltung zu fördern und gegen Überlastung und Aufsaugung zu schützen. …“ Walter Nussel hat sich diesen Verfassungsauftrag nicht einfach nur so gut sichtbar von seinem Schreibtisch an die Wand gehängt: Er hat damit gewissermaßen seine Jobbeschreibung jeden Tag vor Augen. Walter Nussel ist seit 2017 Beauftragter für Bürokratieabbau der Bayerischen Staatsregierung.
Bürokratieabbau ist ein Mega-Thema
Damit steht der 59-jährige gebürtige Erlanger derzeit im Zentrum des politischen Geschehens. In Zeiten multipler Krisen, schwächelnder Konjunktur und vielschichtiger gesellschaftlicher und technologischer Umbrüche werden von Ökonomen, Wirtschafts‑, Sozial- und Sportverbänden eine überbordende Bürokratie und inflationäre, einengende Regularien als wesentliche Entwicklungs- und Wachstumshemmnisse ausgemacht.
„Da kennt sich doch keiner mehr aus. Ohne Jura-Studium ist ja kaum noch eine Entscheidung zu treffen und selbst dann steht man schon gefühlt mit einem Bein im Gefängnis“, „Da vergeht einem die Lust auf Engagement und Führungspositionen, ob als Unternehmer oder Vereinsvorstand.“ lautet vielerorts das Klagelied aus klein- und mittelständischen Betrieben und eben auch aus unseren Vereinen und Verbänden.
Hilfestellung fürs Ehrenamt
Denn umgehen mit Bürokratie und oft sperrigen administrativen Pflichten müssen nicht nur Unternehmen, sondern auch unsere Verantwortlichen in Vereinen, Verbänden und Institutionen, von denen viele im Ehrenamt geführt werden. „Hier fühlen sich viele Entscheider überfordert, all den erforderlichen Regularien, Gesetzen und Verordnungen zu entsprechen und damit den Vereins- oder Organisationsalltag pragmatisch zu gestalten.“ Walter Nussel weiß, wovon er spricht. Der gelernte Zerspanungstechniker und staatlich geprüfte Land- und Forstwirt war bei sich daheim in Herzogenaurach selbst breit ehrenamtlich aufgestellt: als Feuerwehrkommandant, Bauernvorstand und über 14 Jahre als Präsident des FC Herzogenaurach, „wo Lothar Matthäus herkommt“, wie er stolz betont.
Irgendwann gibt’s keine Vereinsvorsitzenden mehr
„Wir können und sollten nicht alles regulieren. Immer mehr Regularien führen am Ende dazu, dass gerade im Ehrenamt das Maß des Leistbaren überschritten ist. Es braucht für alles Maß und Ziel“, bringt Walter Nussel sein Credo auf den Punkt. Zum Beispiel, wenn es um Förderanträge und Verwendungsnachweise im Sport geht. „Es darf nicht sein, dass ein Vereins- oder Verbandsvorsitzender ohne juristisches Staatsexamen weder die Anträge noch die Prozesse dahinter durchschauen kann. Hier muss das entsprechende Regelwerk einfacher und praxisnah sein.“
Je mehr Auflagen es gäbe, für die die Verantwortlichen dann oft auch noch mit ihrem Privatvermögen haften sollen, desto schwieriger werde es, das Ehrenamt hochzuhalten. „Irgendwann wird es keine ehrenamtlichen Vorsitzenden mehr geben“, mahnt Nussel einen entsprechend sensiblen Umgang mit Bürokratie und Verordnungen im Vereins- und Verbandswesen an.
Er sei dazu in engem Austausch mit den jeweils zuständigen Ministerien, suche aber auch den Austausch mit Vereinen, Verbänden, Vereinsvorsitzenden und Ehrenamtlichen, um aus erster Hand zu erfahren „wo der Schuh drückt“ und wo konkreter Veränderungs- und Verbesserungsbedarf besteht. „Die Betroffenen wissen am besten, was sie tatsächlich brauchen.“
Öfter mal die Kirche im Dorf lassen
Der Weg dorthin führt für den Beauftragten für Bürokratieabbau weg vom Primat der Einzelfallgerechtigkeit mit einer allumfassenden, hundertprozentigen Regelausgestaltung hin zur Stärkung des eigenverantwortlichen Handelns, das Ermessensspielräume zulasse und Bagatellgrenzen einbeziehe. „Wir müssen den Menschen im Sport und Ehrenamt, den Vorständen, Trainern und Betreuern mehr Freiheit geben“, sagt Nussel. „Einfach mal öfter die Kirche im Dorf lassen, wie wir in Bayern sagen.“
Regeln und ein gewisses Maß an Laissez Faire und einer gelebten Liberalitas Bavariae seien dabei kein Widerspruch. Das zeige sich beispielsweise beim Mountain-Biken. „Als die ersten Radler vor etwa 20 Jahren durch die Wälder schossen, war das noch eine Nischensportart. Da gab es nichts groß zu regeln. Heute ist Mountain-Biken ein Breitensport mit einer großen Aktivenbasis. Damit sind auch Konflikte mit Waldbesitzern, Wanderern und Spaziergängern vorgezeichnet. Hier tragen Regeln und ein geordneter Interessensaustausch zu einem ökologisch und sozialverträglichen Miteinander bei“, erklärt Nussel. „Allerdings muss auch dabei die ordnungsrechtliche Ausgestaltung überschaubar sein – es geht auch hier um Maß und Ziel.“
Mitunter seien aber auch berühmt-berüchtigte „Bürokratiemonster“, über die viele im Vereinsalltag stöhnen, mit politischem Willen vergleichsweise einfach zu entschärfen. Zum Beispiel bei der Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO. Die 2018 von der EU erlassene Verordnung, berichtet Nussel, zielte in Europa auf Unternehmen und Organisationen in einer Größe ab 50 Mitarbeitende oder Mitglieder. „Der Bund hat dies für Deutschland als einzigem Land in der EU aber sehr viel enger gefasst und die Grenze bei zehn Personen gezogen. Und damit fingen die Probleme für den Sport und das Ehrenamt erst richtig an“, erklärt Nussel.
Ein Beispiel: „Als ich als Vereinsvorsitzender für eine Fußballjugendmannschaft einen Trikotsatz mit Namensaufdruck bestellen wollte, durfte ich den Bestellbogen mit den Namen und jeweiligen Größen nicht 1:1 an den Hersteller weitergeben. Weil die Mannschaft mehr als zehn Spieler umfasste, hätte ich das Einverständnis der Erziehungsberechtigten gebraucht und die Daten aufwendig anonymisieren müssen.“ Nussel habe daraufhin beim Bund erwirken können, dass die DSGVO-relevante Grenze nun zumindest von zehn auf 20 Personen angehoben wurde. „Das sehe ich aber nur als einen Teilerfolg. Ein Handwerksbetrieb aus Bayern mit 30 Mitarbeitenden hat in Bezug auf DSGVO-Verpflichtungen noch immer einen Wettbewerbsnachteil gegenüber einem Betrieb aus dem benachbarten Österreich mit 49 Mitarbeitenden. Da werden wir weiter nachhaken müssen.“
Gefahr “gelöscht” für Vereinswirtschaft
Als ehemaliger Feuerwehrkommandant und Sportvereinsvorsitzender konnte Walter Nussel über eine weitere kurzfristig aufgepoppte Verordnung nur den Kopf schütteln. Ein findiger Tüftler hatte sich mit Fettabscheidern beschäftigt und dafür eine zusätzliche Explosionssicherung erfunden. Daraufhin sollte dieses für die Gastronomie obligatorische Gerät, das für die Trennung des nur äußerst schwer in Klärwerken zu verarbeitenden Brat- und Frittierfetts vom Abwasser sorgt, allgemein verpflichtend werden – bis hin zu den Vereinswirtschaften. „Die Aufrüstung der Küche mit dem neuen Gerät hätte mit etwa 10.000 Euro zu Buche geschlagen, plus die erforderlichen baulichen Maßnahmen, die mindestens noch mal doppelt so teuer gewesen wären. Das hätte vielen Kleingastronomen und Vereinswirtschaften den Stecker gezogen“, ist Nussel überzeugt.
Und das völlig ohne Not. „In meiner langen Laufbahn als Feuerwehrkommandant ist es mir noch nie untergekommen, dass mal ein Fettabscheider in die Luft geflogen ist. Davon konnte mir auch keiner meiner Kollegen berichten. Das heißt nicht, dass dies nicht unter außergewöhnlichen, extrem unglücklich verketteten Umständen einmal passieren könnte. Aber deswegen gleich eine Vielzahl von Existenzen und eine zum Leben gehörende Kultur auf den Opferaltar zu legen, wäre völlig unverhältnismäßig. Ein Lebensrestrisiko besteht immer. Wir können uns nicht vor allen, noch so unerwartbaren Möglichkeiten absichern“, sagt Nussel. „Wir haben diese unverhältnismäßige und unsinnige Regelung verhindert.“
Vereinsveranstaltungen müssen durchführbar sein
„Maß und Ziel“ gelte es auch bei der Durchführung von öffentlichen Sport- und Vereinsveranstaltungen im Auge zu behalten. Hier beobachte Nussel den Trend, dass die zuständigen Vollzugsbehörden oder Landratsämter gerne den höchstmöglichen Mindeststandard als Genehmigungsgrundlage festschreiben. Das betrifft dann die Zahl und Qualität der Sicherheitskräfte, Auflagen der Vergabe- und Gewerbeaufsicht und vieles mehr. „Da geht es dann nicht vorrangig um den Erfolg der Veranstaltung, sondern um die Angst der genehmigenden Behörde, belangt werden zu können. Hier müssen wir unbedingt wieder auf ein ‚gesundes‘ Maß zurückkommen, sonst wird es irgendwann keine solchen nichtkommerziellen Festivitäten und Vereinssportevents mehr geben.“ Um hier den Veranstaltern mit praktischen Tipps zur Seite zu stehen, hat die Bayerische Staatsregierung mit Unterstützung des Beauftragten für Bürokratieabbau allgemein verständlich formulierte Leitfäden und Merkblätter herausgegeben. Zum Beispiel den 64-seitigen Leitfaden für Vereinsfeiern oder eine Broschüre zur ordnungsgemäßen Kassenführung.
Bürokratieabbau als Gemeinschaftsaufgabe
Als Walter Nussel 2017 auf „ein nicht ablehnbares Drängen“ des damaligen Bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer den Ruf als Beauftragter für Bürokratieabbau der Bayerischen Staatsregierung angenommen hatte, war er sich der besonderen Herausforderung bewusst gewesen. „Es war mir wichtig, diese Aufgabe ministerienübergreifend angehen zu können, weil beim Bürokratieabbau meist unterschiedlichste Zuständigkeiten und Kompetenzen angesprochen werden. Zum Beispiel beim Arbeitsrecht, Gesundheits- und Hygieneverordnungen oder Straßenverkehr und Sicherheit. Da hatte sich anfangs sicher der ein oder andere in den Ministerien gedacht: Brauchen wir den überhaupt? Der macht uns bestimmt nur Ärger. Das hat sich aber sehr gut eingespielt. Wir sind ressort- und parteiübergreifend in einem sehr guten, direkten und persönlichen Austausch“, freut sich der kommunikative Franke.
So habe man sich, als es in der Pandemie um die existenziell bedrohten Vereine ging, „ganz unbürokratisch“ zusammengesetzt und nach einer Sofortlösung mit minimalstem administrativem Aufwand gesucht. „Ohne viel Hin und Her haben wir die Förderung einfach verdoppelt. Für diesen Pragmatismus mit Weitsicht bin ich unserem Sportminister Joachim Herrmann noch heute sehr dankbar.“
Auch bei der Einführung der neuen Sportförderrichtlinien waren Walter Nussel und sein Team aktiv. Beim sogenannten Praxis-Check wurde überprüft, ob die neuen Richtlinien, die insbesondere bei der Verbandsförderung sehr große Veränderungen mit sich gebracht haben, in der Praxis auch für die Verbände umsetzbar sind. „Es ist wichtig, dass wir solche Prozesse begleiten und wenn nötig die richtigen Impulse geben. Sofern es einen Anlass dazu gibt, überprüfen wir die Förderpraxis gerne auch nochmals und leisten Unterstützung bei der Korrektur von Fehlentwicklungen“, so Nussel.
Dass er sich dabei mit besonders viel Herzblut für den Sport in Bayern, für die Vereine und Verbände und die dort engagierten Ehrenamtlichen und Mitarbeiter einsetzt, ist deutlich zu spüren. Im Mittelpunkt steht für ihn dabei immer der Mensch. Er gibt die Richtung vor für eine „dienende“ Bürokratie mit „Maß und Ziel.“
Die Kurzversion des Interviews “Auf einen Espresso mit Walter Nussel” findest du > hier <
Die Website “Beauftragter für Bürokratieabbau der Bayerischen Staatsregierung” ist > hier < zu finden